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Agilität | Was ist daran schon neu?

Kurzgefasst ist Agilität die Fähigkeit eines Unternehmens sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen. Stimmt. Was ist daran aber wirklich neu? Ist es nicht so, dass wieder einmal einige Berater und Managementforscher einen Hype zur Entwicklung neuer Märkte geschaffen haben?

Es ist unbestritten, dass eine erfolgreiche Organisation die Fähigkeit entwickeln muss, Veränderungen möglichst rechtzeitig zu antizipieren, selbst innovativ und ständig veränderungsbereit zu sein, permanent als Organisation zu lernen und dieses Wissen allen relevanten Personen zur Verfügung zu stellen. Haben dies nicht auch schon Peter Drucker (‚The End of Economic Man‘, 1939!), Hammer/Champy (‚Reengineering the Corporation‘, 1993), John Kotter (‘Abschied vom Erbsenzähler‘, 1993) & Co vor Jahrzehnten gesagt?

Ich selber predige seit über 20 Jahren, dass Prozessdenken und kundenfokussierte Organisationsmodelle keine Managementmode sind, die kommt und wieder vergeht. Der Ansatz ist ganzheitlich und impliziert sowohl Strategie, Struktur als auch – last but not at all least – die Kultur des Unternehmens. Bei Struktur und Kultur beginnt das Problem vieler Firmen schon richtig virulent zu werden. Meilenweit sind sie von einer agilen Organisation entfernt. Funktionale Silos oder hierarchisch ausgerichtet Spartenorganisationen sind nach wie vor Standard. Das Motiv dahinter ist leicht zu durchschauen: Solche Gebilde sind leichter steuerbar.

Selbstverständlich sorgt eine klare Hierarchie mit soliden Säulen (Funktionen, Business Units, etc.) für Stabilität und Verlässlichkeit. Erfolgreiche Unternehmen brauchen beides. Lateral wirkende Prozesse sowie vertikal stabil ausgerichtete Funktionen oder Geschäftseinheiten. Nun wird überall Agilität gepredigt. Meine These ist, dass dies erstens nichts Neues ist und dass sich zweitens viele Unternehmen sehr schwer damit tun. Warum?

  • Das Top-Management fordert mantramäßig: ‚Wir brauchen unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter‘. Theoretisch, schön und gut. Praktisch würde dies beim Management ein ‚Loslassen‘ sowie ‚Vertrauen‘ bedeuten.
  • Weiters müssen die ‚Wunsch-Intrapreneure‘ auch handeln dürfen und am Erfolg auch partizipieren. Das ist noch immer für viele, vor allem traditionell geführten Unternehmen, schwer vorstellbar.
  • Agilität fordert vor allem Dezentralisierung sowie Transparenz. Auch braucht es viel Mut, nicht mehr alles linear (nach Wasserfallprinzip) planen zu können. Ein vollkommen anderes Paradigma, aber keinesfalls neu.

Christian Freilinger und Norbert Klis schrieben bereits im Jahr 1994 (!) in ihrem Buch ‚Organisation 2000‘ von Voraussetzungen erfolgreicher Unternehmen (gekürzt von 10 auf 8, Original siehe S. 97):

  1. Flache Hierarchien.
  2. Business Unit Organisation sowie Verlagerung der Verantwortung für das operative Geschäft dorthin.
  3. Weg von kostenintensiven Stäben hin zu mehr Projektorganisation.
  4. Teilautonome und selbststeuernde Gruppen vor allem in operativen Bereichen.
  5. Realisieren von (kunden-)prozessorientierten Strukturen.
  6. Stärkung der Mitarbeiter mit direkten Kundenkontakt.
  7. Krisen als Chance sehen, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Mitarbeiter wissen sehr genau, was nicht funktioniert und sind daher in Change Prozesse miteinzubeziehen.
  8. ‚Panta rhei‘ (alles fließt nach Heraklit): Kontinuierliche Prüfung und Verbesserung aller Strukturen sowie Aufgeschlossenheit für notwendige Veränderungen.

Was es jedenfalls braucht – mehr als in den 90er Jahren – ist ein ‚digital mind change‘. Vor allem Führungskräfte sind gefordert, sich mit professionellen Anwendungen zum einen im Bereich ‚IT-Collaboration‘ und zum anderen mit interaktiven und online-basierten Real Time & Open Feedback Systemen auseinander zu setzen.

Auch VUCA*) hat es schon immer gegeben. Es dreht sich alles nur etwas schneller und intensiver. Wenn ich gelernt habe, Veränderungen zu managen, kann ich VUCA mit einem agilen Mindset (problemlos) bewältigen.

Conclusio

  • Die Forderung, agil zu sein, gibt es schon sehr lange.
  • Agilität ist primär eine Haltung, erst dann eine Technik bzw. Methode.
  • Agilität hat mit Urvertrauen (in sich selbst) und Vertrauen in die zu führenden Menschen zu tun (die noch dazu immer kritischer und selbstbewusster werden).
  • Grundvoraussetzung dazu ist (Selbst-)Vertrauen in eine prozesshafte (iterative) Entwicklung von etwas Neuem bzw. Unbekanntem.
  • Stabilität zu schaffen, liegt in der Natur des Menschen. In einer Komfortzone lebt es sich angenehmer. Agilität entspricht nicht der Natur vieler: Wie viele Menschen kennen Sie, die Leidenschaft für Neues, für Veränderungen und Mut zum Risiko zeigen?
  • Es braucht nicht überall Agilität: Denn Stabilität in den Hauptprozessen eines Unternehmens ist der zentrale Erfolgsfaktor. Da spielen sich 80% der Wertschöpfung ab.
    Ehrlich gesagt, braucht es da nur zum Mitdenken motivierte Mitarbeiter (i.S.v. KVP) und somit Agilität in überschaubarem Ausmaß.

Und zum Abschluss bin ich nochmals ketzerisch: Agilität & Hausverstand gehören eng zusammen. Viele Unternehmen wollen bzw. brauchen das alles gar nicht. Agilität führt häufig zu Fragilität, die somit oft im Widerspruch zu notwendiger Stabilität steht.

Die Aussagen des ‚Agilen Manifestes‘ siehe unter http://agilemanifesto.org/iso/de/principles.html)

*) VUCA: Volatility – Uncertainty – Complexity – Ambiguity